Wir nennen in der traditionellen chinesischen Medizin unsere Verdauungskraft “unsere Mitte”. Das ist so, weil sie zum einen in unserer Körpermitte liegt und weil sie in manchen Abbildungen der fünf Elemente auch in der Mitte aller anderen Elemente liegt. Die Mitte ist dem Erdelement zugeordnet und in diesen Abbildungen liegt das Erdelement dann zwischen den vier anderen Elementen Holz, Feuer, Metall und Wasser. Laut die laut TCM dazugehörenden Organe zur Mitte oder zum Erdelement sind Milz und Magen. In vielen neueren TCM-Schriften heißt es oft eher Milz-Pankreas, also Milz-Bauchspeicheldrüse und Magen, weil im westlichen Verständnis die Bauchspeicheldrüse viel mehr zu den Funktionen passt, die wir in der TCM der Milz zuschreiben.
Warum ist diese Verdauungskraft so grundlegend in der chinesischen Medizin?
Weil wir unsere Energie, in der TCM nennen wir das auch Qi, und unsere wichtigen Körpersäfte aus der Nahrung generieren. Also ohne eine starke Verdauungskraft haben wir zum einen weniger Energie, was dazu führt, dass wir wieder noch weniger Verdauungskraft haben, was wiederum dazu führt, dass weniger Energie produziert wird, was wiederum dazu führt und so weiter und so fort. Du siehst: ein Teufelskreis. Und zum anderen produzieren wir weniger Körpersäfte, die unseren Körper nähren und befeuchten.
Ein sogenannter Milz-Qi-Mangel ist sehr verbreitet. Ich sehe ihn wirklich sehr oft, wenn ich in der Praxis Klient:innen empfange. Und ein sogenannter Milz-Qi-Mangel ist nichts anderes als ein Energiemangel in unserem Verdauungstrakt. Was tut dieser Energiemangel? Dieser Qi-Mangel verursacht Feuchtigkeit im Körper. In der TCM stellt man sich die Funktion des Verdauungstraktes so vor, dass trübe von klaren Flüssigkeiten möglichst exakt getrennt werden. Zu den klaren Flüssigkeiten gehört alles, was wir brauchen: zum einen genug Energie, dass wir nicht frieren und unseren Alltag gut und energetisch bewältigen können und dann auch wieder gut verdauen können. Zum anderen Körpersäfte wie Blut und Verdauungssäfte und alles, was unsere Gelenke schmiert und unsere Sinnesorgane befeuchtet und reinigt und damit im Körper sozusagen alles gut “flutscht”.
Die trüben Flüssigkeiten sind die Dinge in unserer Nahrung, die wir im Prinzip nicht brauchen. Deshalb werden sie im Idealfall zur Gänze über Urin und Stuhl und ein bisschen Schweiß ausgeschieden. So der Idealfall. Ist jetzt aber unsere Mitte schwach, ist dieser Energiemangel in unserem Verdauungstrakt zu groß, brennt unser Verdauungsfeuer zu niedrig. Dann klappt es mit dem Trennen zwischen klar und trüb nicht so richtig. Das bedeutet, wir haben weniger klare Flüssigkeiten und damit weniger wichtige Flüssigkeiten im Körper und weniger Energie, was eben ein Teufelskreis ist, da wir ja dann auch wieder weniger Energie zum Verdauen haben. Und dafür haben wir mehr trübe Flüssigkeiten im Körper, die da verbleiben, die wir aber eigentlich nicht brauchen und das wird in der chinesischen Medizin Feuchtigkeit genannt. In unserer westlichen Welt kennen wir hierfür den Begriff der Schlacken.
“Feuchtigkeit” und wie du sie erkennst
Und ja, ich weiß jetzt werden wieder viele aufschreien, dass man noch nie im Körper irgendwelche Schlacken gefunden hat, wenn man ihn aufschneidet. Einerseits ja, aber andererseits nein, denn zum Beispiel allein die Reste in den Darmzotten, die da herumhängen und warum so oft und so sehr von Darmspülungen geschwärmt wird, wären zum Beispiel schon solche Schlacken. Ganz zu schweigen von Arterienverkalkungen, Ödemen, verschleimten Nebenhöhlen, oder oder oder… Aber darum geht es ja auch gar nicht. Man sieht diese Schlacken oder besser gesagt diese Feuchtigkeit nicht immer schwarz auf weiß, zum Beispiel auf einem Zettel nach einer Blutuntersuchung im Labor oder auch bei einem Ultraschall oder etwas ähnlichem. Das ändert aber nichts daran, dass man die Feuchtigkeit spüren kann, zum Beispiel:
- als Verdauungsprobleme, wie Blähungen oder Völle- oder Druckgefühle im Bauch oder es ist einem flau nach dem Essen
- oder man möchte sich nach dem Essen immer hinlegen, weil man so müde ist
- auch Intoleranzen wie Fructose-, Laktose- oder Histaminintoleranz deuten auf eine ganz schwache Mitte hin und meistens auf viel Feuchtigkeit
- weicher, breiiger, schmieriger Stuhlgang, womöglich mit unverdauten Nahrungsresten
Es gibt aber auch Anzeichen für Feuchtigkeit, die gar nicht unmittelbar mit der Verdauung zusammenhängen, wie zum Beispiel
- Übergewicht oder Energielosigkeit
- ein verschwommenes, unkonzentriertes Gefühl im Kopf, auch “Foggy Brain” genannt
- Konzentrationsschwierigkeiten oder Anlaufschwierigkeiten in der Früh oder Durchhänger untertags, das klassische Mittagstief oder Nachmittagstief
- oder zum Beispiel Ödeme, Wasseransammlungen im Körper
- Infektanfälligkeit mit Schnupfen und Husten mit viel Sekret, ebenfalls eine Flüssigkeit, die da eigentlich nicht hingehört, die man nicht braucht.
Also Sekrete, die die Schleimhäute befeuchten, nicht falsch verstehen, die braucht man schon. Das sind die guten Säfte, die wir brauchen im Körper. Aber Rotz, der einem aus der Nase trieft, oder Schleim, der einem ständig im Hals steckt oder die Lungen rasseln lässt, das braucht man eigentlich nicht. Es stellen sich also mehrere Fragen. Sind die Verdauungsbeschwerden erste Anzeichen für ein Ungleichgewicht im Körper? Handelt es sich um Lebensmittelunverträglichkeiten oder sogar eine Intoleranz? Kommen die Beschwerden von Darmproblemen oder ist der Magen die Wurzel allen Übels? Denn auch eine Magenschleimhautentzündung (Gastritis) kann sich neben den klassischen Schmerzen mit Verdauungsproblemen bemerkbar machen. Außerdem stellt sich die Frage, ob es nur an falscher Ernährung liegt oder auch an anderen Lebensumständen. Wichtig ist deshalb immer ein ausführliches Gespräch, dem Ursprung des gesamten Unwohlseins auf den Grund zu gehen. Du siehst, dass eine schwache Verdauung sich in vielen Symptomen zeigt, die auf den ersten Blick oft gar nichts zu tun haben mit unserem Verdauungsapparat und damit mit unserer Ernährung.
Was kannst du für eine “starke Mitte” tun?
Trotzdem kann man sie mit Hilfe der Ernährung massiv beeinflussen. Wie kannst du also deine Mitte stärken, falls du dich jetzt in einigen Symptomen wieder erkannt hast? Natürlich gehen wir in der TCM ganz individuell auf die jeweiligen Ungleichgewichte ein normalerweise. Dennoch gibt es ein paar Ratschläge, die so gut wie allen von uns gut tun. Wenn du also Hinweise auf ein schwaches Milch-Qi bei dir entdeckt hast, dann kannst du:
- mit einem warmen Frühstück starten. Dieser Tipp kommt bei mir immer wieder. Das kann zum Beispiel der schon so oft empfohlene Porridge sein, also Haferflocken in Wasser oder Getreidemilch gekocht mit Gewürzen, gedünstetem Obst oder Obstmus und Nüssen oder Nussmus. Es geht aber auch so gut wie alles, das du zu jeder anderen Tageszeit magst. Wenn du also gern pikant frühstückst, dann kann das auch ein gebratener Reis mit Gemüse und Ei sein oder ein Omelette mit Gemüse oder wenn du vegan lebst zum Beispiel ein Linsendal.
- bei starken Kältegefühlen (kalte Hände, kalte Füße, generelles Frösteln), auf zu viel Rohkost verzichten, wie kalte Nahrung direkt aus dem Kühlschrank zum Beispiel oder auch sehr viel rohes Obst und Gemüse. Dein Körper hat nämlich sonst die doppelte Aufgabe, sowohl dich zu erwärmen, deinen Verdauungstrakt warm zu halten und dann auch noch das kalte Essen sozusagen auf Körpertemperatur bringen zu müssen, um es überhaupt verdauen zu können.
- insgesamt mehr Gekochtes essen. Gekochte Mahlzeiten sind, wenn man so will, schon ein bisschen “vorverdaut” und deshalb bekömmlicher.
- viele Gewürze verwenden: aromatische Gewürze, vielleicht mediterrane Gewürze wie Oregano, Majoran, Rosmarin oder auch verdauungsfördernde Gewürze wie Kümmel, Fenchel, Anis oder Kreuzkümmel. Sie helfen unserer Mitte bei der Aufteilung in trüb und klar. Deshalb kann man das nicht oft genug sagen.
Wie gesagt, die Mitte ist das A und O, also unsere Verdauungskraft ist das A und O unseres Wohlbefindens, unserer Gesundheit. Sie ist deshalb so zentral, weil sie sozusagen die Grundlage liefert für alle anderen Organe und für alle anderen Funktionskreise, wie wir das nennen. In meinem Blog gibt es schon viele Rezepte, die alle die Mitte stärken. Stöbere gerne darin oder schau Dir, falls Du viel Feuchtigkeit in Deinem Körper vermutest, meine “Detox ohne Fasten”-Kur an. In den Terminen siehst Du, wann wir gemeinsam kochen können und welche Themen wir dabei aufgreifen.
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